10 Jahre HArtz IV

10 Jahre Hartz-Reformen: Nicht jeder ist „aktivierbar“

„Mehr Schatten als Licht – eine Überarbeitung ist überfällig“, lautet
das Fazit des AWO Stadtkreisvorsitzenden Holger Scharff angesichts des
10-jährigen Jahrestages des so genannten Hartz-Konzepts. Besonders beim
Herzstück der daraufhin umgesetzten Reformen „Hartz IV“ sieht Scharff
noch viele Baustellen: „Der Regelsatz ist zu niedrig und nicht jeder ist
für den Arbeitsmarkt aktivierbar“, betont Scharff. Trotzdem sei einiges
an der Reform durchaus richtig gewesen, wie zum Beispiel der generelle
Anspruch, sich mit den Menschen zu beschäftigen und sie wieder in die
Gesellschaft zu integrieren, statt sie einfach zu alimentieren.

Beschäftigungslosenzahlen verringern
Hauptziel der Reform war es, die Zahl der damals über vier Millionen
Beschäftigungslosen zu halbieren. „Dass jeder Mensch mit ein bisschen
Druck und der richtigen Maßnahme wieder in Arbeit gebracht werden kann,
ist eine Illusion“, betont Scharff und fordert stattdessen, die
Hartz-IV-Bezieher wieder ins soziale Leben zurückzuholen. „Den sozialen
Arbeitsmarkt zu beschneiden, war ein fataler Fehler“, kritisiert Scharff
die jüngsten Arbeitsmarktreformen. „Wenn wir uns mit den Menschen
auseinandersetzen und nicht nur versuchen, sie in einen Minijob zu
pressen, können wir zum Beispiel mit öffentlich geförderten Jobs oder
gezielten Qualifizierungsmaßnahmen noch viel mehr erreichen“, ist der
AWO Stadtkreisvorsitzende Holger Scharff überzeugt.

Jugendliche in den Blick nehmen
Mit Blick auf die Jugendlichen fordert Scharff die verschärften
Sanktionsmöglichkeiten durch das Amt aufzuheben, denn Jugendlichen
könnten die Bezüge bis auf Null gekürzt werden. „Dass zum Teil in die
Obdachlosigkeit sanktioniert wird, ist weder verantwortungsbewusst noch
zielführend“, erklärt Scharff. Jugendliche Hartz-IV-Bezieher würden
besonders intensive Beratung und Betreuung benötigen, sonst drohen sie
im System abzutauchen und für immer verloren zu gehen. „Die jungen
Menschen müssen dazu motiviert werden, sich zu qualifizieren. Immer nur
die Peitsche zu schwingen, führt zu nichts“, betont Scharff.

Arm trotz Arbeit
Arbeit schützt nicht mehr automatisch vor Armut, auch das eine
Konsequenz der Hartz Reformen. „Wenn der Staat dauerhaft Löhne
aufstocken muss, ist das keine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik“,
kommentiert Scharff den Fakt, dass 1,3 Millionen Menschen nicht von
ihrer Arbeit leben können. Viel zu wenigen Hartz-IV-Empfängern gelinge
es, einen Job zu bekommen, der nicht eine schlecht bezahlte,
befristetete Teilzeitarbeit sei.

Armut verringern
Vor den Hartz Reformen wurde die Sozialhilfe von den Kommunen und die
Arbeitslosenhilfe von der Bundesagentur ausgezahlt. Durch die
Zusammenlegung der Leistungen wurde Armut plötzlich in einem ganz neuen
Ausmaß sichtbar. Dadurch wurden vielen Debatten angestoßen. Eine
positive Konsequenz sei zum Beispiel, dass seitdem die Nöte von
Alleinerziehenden viel mehr im Fokus stünden.

Beitragssatz erhöhen
In der Höhe des Beitragssatzes sieht Scharff einen ganz entscheidenden
Kritikpunkt. „374 Euro im Monat sind viel zu wenig, um die gewünschte
Eigenverantwortung zu erreichen“, erklärt Scharff. Materielle Armut habe
auf eine ganze Reihe von Lebensbereichen negative Auswirkungen und
beschränke die Möglichkeiten der Mobilität und der Bildungschancen und
reduziere damit die Wahrscheinlichkeit für die Betroffenen aus Hartz IV
herauszukommen.

Die Hartz Reformen und Hartz IV waren die wohl folgenreichste
Veränderung der bundesdeutschen Sozialpolitik. Wenn auch heute mehr
Menschen denn je Arbeit haben, gibt es heute auch mehr Menschen als je
zuvor, die von ihrer Arbeit nicht leben können und über 400.000
Menschen, die dauerhaft Hartz IV beziehen. Hier sieht Scharff dringenden
Handlungsbedarf: „Wir brauchen einen Sozialen Arbeitsmarkt, der denen,
die bislang von den gesellschaftlichen Entwicklungen abgehängt werden,
Möglichkeiten bietet, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wir
müssen Menschen eine Perspektive geben, auch und gerade dann, wenn eine
direkte Integration in den ersten Arbeitsmarkt erst einmal nicht
realistisch erscheint“, erklärt Scharff abschließend.

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